Schule der Armen by Sándor Márai
Autor:Sándor Márai [Márai, Sándor]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492960083
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2013-03-31T16:00:00+00:00
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Nach langwierigen Versuchen und jahrelangen Ãberlegungen gelang es mir, im Sommer des Jahres 1932 in meiner Wohnung ein Läutewerk anzubringen, welches so konstruiert war, daà mein Dienstmädchen mich zu jeder Tages- und Nachtstunde anklingeln konnte, ich sie jedoch nicht. Mein einfaches, billiges und überall anzubringendes Klingelsystem empfehle ich wärmstens einem jeden, der die komplizierten Einrichtungen der zivilisierten Gesellschaft satt hat und sein Leben durch gesunde und angenehme Methoden zu vereinfachen wünscht.
Diese recht primitive elektrische Anlage läÃt sich ohne weiteres im Schlaf-, Arbeits- oder Speisezimmer anbringen und bietet vollkommenen Komfort und groÃe Sicherheit. Der Vorteil dieser Anlage besteht vor allem darin, daà sie mein Privatleben vor den Störungen und Unbequemlichkeiten schützt, die einem Dienstboten sonst bereiten. Dank meines Klingelsystems kann die Hausangestellte die Zimmer nie zu ungeeigneten Zeiten betreten: Will sie mit ihrem Brotherrn sprechen, so setzt sie von auÃen das Läutewerk in Bewegung und betritt das Zimmer erst nach Verlauf einer kurzen Zeitspanne, in welcher man sich gewissermaÃen zu ihrem Empfang vorbereiten kann. Diese kleine, aus einigen Metern Draht und einer elektrischen Klingel bestehende Erfindung empfehle ich besonders jenen armen Schriftstellern, Künstlern, Politikern, Beamten und Militärs, die nicht nur in den Augen ihrer Vorgesetzten, sondern auch vor ihren Dienstboten als groÃe Männer gelten wollen; wie wir wissen, ist letzteres besonders schwer zu erreichen.
Meine Alarmglocke, die das Mädchen von ihrem Zimmer aus nach Belieben in Bewegung setzt, sobald sie das Bett machen, den Tisch decken oder abräumen will, verleiht mir das Gefühl der absoluten Sicherheit und behütet mich vor der Unannehmlichkeit, überraschend von einer Fremden in eben jenem Augenblick gestört zu werden, wo ich in aller Gemütsruhe die Bequemlichkeit meines Heims genieÃen, in der Nase bohren oder in mangelhafter Bekleidung auf und ab gehen will; all dies kann bedauerlicherweise bei den gröÃten Politikern, hohen Militärs, Schriftstellern, ja sogar bei kirchlichen Würdenträgern hin und wieder vorkommen, von anderen ungezwungenen Situationen des Lebens gar nicht zu reden. Den Reichen dagegen droht keine Gefahr dieser Art.
Die Gefahr des Prestigeverlustes bedroht ausschlieÃlich den Armen. Der Reiche bleibt nämlich in den Augen seiner Dienstboten, so ungeniert und menschlich er sich auch benimmt, immer der groÃe Mann. Die schon im Reichtum geborenen Reichen baden, unterhalten sich über vertrauliche Angelegenheiten, ja, handeln sogar in Anwesenheit ihrer Chauffeure, Lakaien, Kammerzofen und Jäger so unbefangen, als wären sie allein im Zimmer; denn für den wirklich Reichen sind Dienstboten keine Personen, die seine Handlungen, selbst in Gedanken, einer Kritik unterwerfen würden. Und am sonderbarsten ist die Tatsache, daà die Dienstboten, die ja von ihren Herren seit Generationen sozusagen per Inzucht ausschlieÃlich zu diesem Zweck gezüchtet werden, tatsächlich nicht auf den Gedanken kommen, ihre Herrschaft zu kritisieren.
Die wirklich reiche Frau zieht sich bekanntlich vollkommen ungeniert vor einem männlichen Dienstboten aus, denn es kommt weder ihr noch dem Diener in den Sinn, daà die Situation für einen der Betreffenden anstöÃig sein könnte; und die reichen Männer lassen sich ohne jeden Hintergedanken von ihrem Zimmermädchen nach dem Bad abfrottieren. Wie der Mensch sich nicht vor seinem Spiegelbild schämt und auch nicht vor seinen Händen und FüÃen, so schämen sich die vornehmen Leute nicht vor ihrem Diener oder der Zofe.
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